Projekt Beschreibung

Fol­gende Gemein­same Erk­lärung des Repub­likanis­chen Anwältin­nen- und Anwäl­tev­ere­in, von Green Legal Impact e.V., Lawyers4Future, Clien­tEarth, der Human­is­tis­chen Union und dem Komi­tee für Grun­drechte und Demokratie e.V. ist heute veröf­fentlicht worden.

PM auf der Web­seite des RAV: https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/klimaschutz-statt-repression-verhaeltnismaessigkeitsgrundsatz-gilt-auch-im-umgang-mit-der-letzten-generation-915

Kli­maschutz statt Repression:

Ver­hält­nis­mäßigkeits­grund­satz gilt auch im Umgang mit der ›Let­zten Generation‹!

Gemeinsame Erklärung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, von Green Legal Impact e.V., Lawyers4Future, ClientEarth, der Humanistischen Union und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

Berlin/Köln, 22. Dezem­ber 2022

Mit dem Vorwurf der »Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung« nach § 129 StGB fahren die Strafver­fol­gungs­be­hör­den schw­eres Geschütz gegen gewalt­freien Klimaprotest auf, der mit der Ein­hal­tung der Kli­maschutzziele ein ver­fas­sungs- und völk­er­rechtlich legit­imiertes Anliegen ver­fol­gt. Angesichts der weitre­ichen­den Grun­drecht­se­in­griffe, die durch diesen Vorwurf gerecht­fer­tigt wer­den, hal­ten wir die Ermit­tlun­gen der Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin nach § 129 StGB gegen Men­schen aus der Bewe­gung ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ für unverhältnismäßig.

Die strafrechtliche Ver­fol­gung von Mit­gliedern der Bewe­gung ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ hat eine neue Qual­ität erre­icht. Am ver­gan­genen Dien­stag, den 13.12., kam es zu elf Haus­durch­suchun­gen und der Beschlagnah­mung von Handys, Lap­tops und Plakat­en. Der Vorwurf lautet »Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung« gemäß § 129 Abs. 1 StGB, außer­dem Störung öffentlich­er Betriebe (§ 316b StGB), Haus­friedens­bruch (§ 123 StGB) und Nöti­gung (§ 240 StGB). Medi­en­bericht­en zufolge wur­den Ermit­tlun­gen gegen ins­ge­samt 34 Beschuldigte in acht Bun­deslän­dern ein­geleit­et, nach­dem seit Mai bei mehreren Protes­tak­tio­nen an der PCK-Raf­finer­ie in Schwedt Ven­tile zuge­dreht und der Öl-Zufluss damit kurzzeit­ig unter­brochen wor­den sein soll. Zwei Wochen vor den Haus­durch­suchun­gen hat­ten mehrere Lan­desmin­is­ter auf der Innen­min­is­terkon­ferenz Ermit­tlun­gen nach § 129 StGB gefordert.

Anfangsver­dacht der »Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung« bere­its fraglich

Die Unterze­ich­nen­den kri­tisieren dieses Vorge­hen, denn bere­its das Vor­liegen des Anfangsver­dachts bezüglich der Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung erscheint zweifel­haft. Der Tatbe­stand set­zt voraus, dass eine Gruppe die Bege­hung von schw­eren Straftat­en bezweckt, von denen eine erhe­bliche Gefahr für die öffentliche Sicher­heit aus­ge­ht. Das trifft auf das Fes­tk­leben an Straßen, Gemälden und Flughäfen als bis­lang wichtig­ster Protest­form der ›Let­zten Gen­er­a­tio­nen‹ schon im Ansatz nicht zu. Ob Sitzblock­aden und andere For­men des zivilen Unge­hor­sams über­haupt straf­bares Ver­hal­ten darstellen, ist fraglich – Gerichte und Staat­san­waltschaften haben die wer­tung­sof­fe­nen juris­tis­chen Fra­gen der Ver­w­er­flichkeit und eines recht­fer­ti­gen­den Kli­man­ot­standes zulet­zt unter­schiedlich beant­wortet und Protestierende vere­inzelt freige­sprochen. Jeden­falls aber haben die mit den Sitzblock­aden ver­bun­de­nen Vor­würfe kein aus­re­ichen­des Gewicht, um Vor­würfe nach § 129 StGB begrün­den zu können.

Ähn­lich sieht es bei dem Zudrehen von Ven­tilen an der Raf­finer­ie in Schwedt aus. Wed­er wur­den durch die kurzzeit­ige Unter­brechung der Ver­sorgung ein­er Raf­finer­ie Men­schen gefährdet, noch die öffentliche Sicher­heit in erhe­blichem Maße beein­trächtigt. Auch zu Sachbeschädi­gun­gen kam es nicht. Dass die Aktion möglicher­weise den Anfangsver­dacht ein­er Störung öffentlich­er Betriebe begrün­det, kann für sich genom­men die Ermit­tlun­gen nach § 129 StGB eben­so wenig rechtfertigen.

Moti­va­tion, Ziele und Kon­text entscheidend

Ger­ade weil der Vorwurf nach § 129 StGB weitre­ichende Ermit­tlungs­maß­nah­men ermöglicht, die mit schw­eren Grun­drecht­se­in­grif­f­en ver­bun­den sind, fordert auch der BGH die strik­te Ein­hal­tung des Ver­hält­nis­mäßigkeits­grund­satzes bei der Bew­er­tung der Zwecke ein­er Vere­ini­gung. Ob die Schwelle zu ein­er krim­inellen Vere­ini­gung im Sinne der Vorschrift über­schrit­ten wird, ist nicht allein anhand der began­genen Straftat­en, sondern anhand ein­er Gesamtwürdi­gung aller Umstände zu bew­erten, die auch den Rah­men und den Hin­ter­grund der Tat­en in den Blick nimmt – und ger­ade dieser kön­nte nicht deut­lich­er gegen die Annahme ein­er krim­inellen Vere­ini­gung sprechen:

Die ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ weist mit ihrem Protest auf etwas hin, das auch Barack Oba­ma und Annale­na Baer­bock genau so for­muliert haben: Dass wir zu der let­zten Gen­er­a­tion gehören, die die katas­trophalen Auswirkun­gen des Kli­mawan­dels noch stop­pen kann. »Die näch­sten acht Jahre sind entschei­dend«, erken­nt selb­st Bun­deskan­zler Olaf Scholz. Trotz­dem reichen wed­er glob­al noch nation­al die bish­eri­gen Kli­maschutz­maß­nah­men aus, um die glob­alen Kli­maziele sowie den in Deutsch­land ver­fas­sungsrechtlich vorgegebe­nen Reduk­tion­sp­fad einzuhal­ten. Das wurde unlängst durch das Zwei­jahresgutacht­en des Experten­rates für Kli­mafra­gen bestätigt, der einen Par­a­dig­men­wech­sel in der deutschen Kli­maschutzpoli­tik anmah­nt. Der­weil hat der voran­schre­i­t­ende Kli­mawan­del bere­its in vie­len Teilen der Erde ver­heerende Kon­se­quen­zen. Angesichts dieser Entwick­lun­gen richtet sich die ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ an die Poli­tik. Die Bewe­gung fordert im Grunde nicht mehr, als die Ein­hal­tung des Kli­maschutzge­set­zes und der völk­er- und ver­fas­sungsrechtlichen Pflicht, den glob­alen Tem­per­at­u­ranstieg auf 1,5° C zu begren­zen. Die Proteste haben ein starkes kom­mu­nika­tives Ele­ment und zie­len auf die Teil­nahme an der öffentlichen Mei­n­ungs­bil­dung ab. Sie nehmen damit eine grun­drechtlich garantierte Frei­heit wahr, welche das Bun­desver­fas­sungs­gericht als schlechthin kon­sti­tu­tiv für unsere Demokratie erachtet. Diese Umstände müssen die Ermit­tlungs­be­hör­den bei der Bew­er­tung des Ver­hält­niss­es von Straftat­en und ver­fol­gten Zweck­en angemessen berücksichtigen.

Für die strafrechtliche Bew­er­tung des Gesamt­bildes ist außer­dem entschei­dend: Die Bewe­gung agiert nicht im Ver­bor­ge­nen, sondern trägt ihre Ziele und Meth­o­d­en sowie die Iden­tität der Beteiligten in die Öffentlichkeit. Dort, wo die gewählten Protest­for­men des zivilen Unge­hor­sams die Gren­zen zur Straf­barkeit über­schrit­ten haben, stellen sich bis­lang alle Aktiv­en den Strafver­fahren. All das spricht entschei­dend gegen die Annahme ein­er krim­inellen Vereinigung.

Ermit­tlungs­maß­nah­men müssen Ver­hält­nis­mäßigkeit wahren

In jedem Fall erscheinen die Durch­suchun­gen und Beschlagnah­mungen angesichts des gewalt­freien und öffentlichen Protests und der ver­fol­gten Anliegen der Bewe­gung unver­hält­nis­mäßig. Die Mit­glieder der ›Let­zten Gen­er­a­tion‹ haben bis­lang kein­er­lei Anstal­ten gemacht, ihre Tat­en zu ver­ber­gen und Ermit­tlungs­maß­nah­men zu behindern.

Lei­der rei­hen sich die Ermit­tlun­gen in andere staatliche Maß­nah­men gegen die ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ ein, wie die wahrschein­lich ver­fas­sungswidrige Anord­nung eines 30-tägigem Gewahrsams in Bay­ern. In ihrer Gesamtheit erweck­en diese Maß­nah­men den Ein­druck ein­er Instru­men­tal­isierung des Ord­nungs- und Strafrechts für die Dele­git­imierung und Ein­schüchterung von unlieb­samem Protest. Das ist eines demokratis­chen Rechtsstaats unwürdig. Repres­sion sollte nicht die Antwort des Staats auf eine Klimabe­we­gung sein, die den Erhalt unser aller Lebens­grund­la­gen ein­fordert und an die Ein­hal­tung von Gesetz und Recht erinnert.

Die Dringlichkeit des Prob­lems erkennen!

Vor allem aber dro­hen die Diskus­sio­nen über strafrechtliche Ermit­tlungs­maß­nah­men von der eigentlichen Prob­lematik abzu­lenken. Die Ver­ant­wortlichen soll­ten sich mit dem Ruf der Protestieren­den nach wirk­samen Maß­nah­men gegen die dro­hende Kli­makatas­tro­phe auseinan­der­set­zen und endlich ihren ver­fas­sungsrechtlichen Pflicht­en nachkom­men. Kli­maschutz ist Men­schen­recht, das haben Gerichte rund um die Welt bere­its entsch­ieden – und dieses Men­schen­recht hat jed­er Staat zu acht­en. Die ›Let­zte Gen­er­a­tion‹ wählt drastis­che Mit­tel, um auf das bis heute andauernde, drastis­che Ver­sagen der Kli­maschutzpoli­tik hinzuweisen. Die Dringlichkeit der Kli­makrise haben die meist jun­gen Betrof­fe­nen nicht zu verantworten.